Arch.Film-Matinée mit Helmut Weihsmann
Film & Lecture
Utopien der Moderne oder die Alchemie des Scheiterns – Lektüre über Architektur und Städtebau im Dienst einer sozialistischen Gemeinschaft.
Am Sonntag, 7.Oktober 2012 findet am Vormittag wieder ein spezielles Programm von interessanten und auserwählten Architekturfilmen im Kinosaal der Localbühne statt. Titel und Inhalt der Arch.Film-Matinée ist den Utopien, Visionen und Alchemie der russischen Avantgarde gewidmet. Die dazu passende Kurzfilme werden von dem Wiener Film- und Architekturhistoriker Helmut Weihsmann in einem begleitenden Bildervortrag kommentiert, der auch die Filmauswahl zusammengestellt hat.
Funktionsmodelle der kollektiven Wohnbauten, Gemeinschaftsküchen, Kommunenhäuser und Arbeiterklubs in der Sowjetunion von 1917 bis 1929. Prototyp für den neuen sozialistischen Kollektiv-Geist und der erfolgreichen kommunistischen Revolution von 1917 waren die Arbeiterklubs der KP, die in Nu wie Pilze aus dem Boden sprossen. Die konstruktivistische Architektur der Arbeiterklubs und den kommunalen Sozialbauten wurden zum Bahnenträger einer Kulturrevolution, die dem revolutionären Zeitgeist verkörperten und den Ideen und Idealvorstellungen von einem „neuen Menschen“ innerhalb der Sowjetunion entsprachen. Das Dekret des Proletkults von 1919 „Alle Kunst dem ganzen Volke“ forderte auf, die Agitation auf die Straße zu tragen. Der öffentliche Raum wurde kollektiviert zum Zwecke der bolschewistischen Propaganda und sollte als Besitz der Arbeiterklasse eingenommen werden, gestaltet, bemalt und dekoriert als Bühne für das neue Bewusstsein. Agit-Prop, Straßentheater, Flugblatt, Zeitungen, Film, Radio und Propagandabauten wie der Entwurf für einen Turm der III. Internationale von Tatlin, der Medienturm Pravda von den Wesnin-Brüdern und die Rednertribüne für Lenin von Lazar El Lissitzky waren wesentliche Vorreiter einer neuen Öffentlichkeit im städtischen Raum.
Am Anfang der Auseinandersetzungen über Form, Programm, Sinn und Ziele der Arbeiterklubs stand der gemeinsame ideologische und soziale Anspruch der verschiedenen Intellektuellen und Künstlergruppen innerhalb der Parteikadern und ihren Organisationen, ihre schöpferische Kraft in den Dienst einer neuen Gemeinschafts- und revolutionären Gesellschaftsordnung zu stellen. Die Interpretation dieses Auftrages an die Architekten und Künstler nahm verschiedenste Formen an, so dass kontroverse Theorien und Modelle nebeneinander existierten. An der Vielfältigkeit der Entwurfsvorschläge und realisierten Bauten ist das Spektrum der Auffassungen, aber auch Tendenzen der Machthaber zu erkennen. Für eine neue Form des kollektiven Zusammenlebens nach der Auflösung der bürgerlichen Kleinfamilie und ihre prekäre Einzel-Hauswirtschaft entwickelten einige progressive sowjetische Avantgarde-Architekten während der bolschewistischen Revolution das sog. „Kommunenhaus“. Die Lebensabläufe und Funktionen des Wohnens wurden nach Vorbilder der Betriebswirtschaft und den Fabrikationsabläufen der Fabrik (vgl. Taylorismus) organisiert und rationalisiert. Sie sollten in einer symbolischen und architektonischen Formgebung ablesbar sein. Diese extremen Vorstellungen der Kollektivierung und Resozialisierung der Massen, für die der „Nutzer“ erst theoretisch und dann am Reißbrett konstruiert werden musste, konnte sich nicht durchsetzen und die Versuche scheiterten.
Eintritt: € 8,- / ermäßigt € 6,50 / LB-Mitglieder € 6,-
Kartenreservierung: www.kino-freistadt.at oder 07942 777 11